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"Es gibt Dinge, die man fünfzig Jahre weiß, und im einundfünfzigsten erstaunt man über die Schwere und Furchtbarkeit ihres Inhaltes. So ist es mir mit der totalen Sonnenfinsternis ergangen [...] Nie und nie in meinem ganzen Leben war ich so von Schauer und Erhabenheit erschüttert, wie in diesen zwei Minuten, es war nicht anders, als hätte Gott auf einmal ein deutliches Wort gesprochen und ich hätte es verstanden. Ich stieg von der Warte herab, wie vor tausend und tausend Jahren etwa Moses von dem brennenden Berge herabgestiegen sein mochte [...]" (Adalbert Stifter, 1805-68)

photo: www.graz.at Ich beobachte die totale Sonnenfinsternis am 11. August 1999 von der Dachterrasse des Johannes-Kepler-Hauses in Graz-Kroisbach (47° 05' Nord, 15° 27' Ost). Kepler (1571-1630) seinerseits beobachtet am 10. Juli 1600 eine partielle Sonnenfinsternis vom Grazer Hauptplatz: "Während ich noch mit der Herstellung eines außerordlichen Gerätes befaßt war und während ich mich um die Aufstellung auf einer Bühne unter freiem Himmel bemühte, hat ein anderer die Gelegenheit ergriffen, eine andere Finsternis zu untersuchen, nicht ein Schwinden der Sonne, sondern meines Geldbeutels, indem er ihm 30 Gulden entnahm. Beim Herkules! Ein kostspieliges Verschwinden!" Graz liegt an der Sichtbarkeitsgrenze, die Grenzlinie verläuft vom Buchkogel nach Thondorf. Die letzte totalen Eklipse ist 1842 gewesen; die nächste wird 2081 sein. So you won't get a second chance! Die Wettersituation der kommenden Tage - ein Tief über der Bretagne, das schwülwarme Luft aus dem Mittelmeerraum heranführt - verheißt Quellwolken, es soll zu Gewittern neigen. Die Sonnenfinsternis selbst könnte der Rettungsanker sein: Durch Abkühlen der Luft kommt es zu einem "Finsterniswind", der die letzten Wolken vertreiben könnte. Es können natürlich auch andere unerwartete Dinge geschehen: 1887 bricht auf der japanischen Insel Yokohama eine Minute vor der Totalität ein Vulkan aus!

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In der Tram: "I geh morgen net außi, wegn der Strahlengefahr." In der Nacht vor der Sonnenfinsternis beobachtet die Polizei eine gesteigerte Aggressivität: "Es ist noch toller als in einer Vollmondnacht. Die Leute trinken mehr, sind empfindlicher, aggressiver und randalieren mehr." Seit jeher schon gilt es als schlechtes Omen, wenn der "Fenriswolf" - alternativ ein Drache, eine Schlange oder ein Riesenfrosch - die Sonne "verschluckt". Zudem vollzieht sich mit der Konstellation der Planeten eine seltene Kreuzstellung im Tierkreis: Mars und Saturn/Jupiter stehen in Opposition im Tierkreis der Waage bzw. des Widders, eine zweite Achse im rechten Winkel dazu bilden Sonne/Mond/Merkur/Venus (Krebs) und Uranus/Neptun (Steinbock). Nostradamus (1503-66): "Im Jahre 1999 [und] sieben Monate wird ein großer König des Schreckens vom Himmel kommen, den großen König von Angomois wieder erwecken, davor, danach regiert Mars zu guter Stunde." Wahlweise wird denn auch ein Weltkrieg, ein Kometeneinschlag oder andere Unbill geweissagt. Die Wahrsagerin Elisabeth Tessier glaubt, daß die Weltraumsonde CASSINI mit ihren Plutonium-Batterien (und Grazer Geräten an Bord) auf die Erde stürzt, wenn sie am 18. August Schwung im Erdschwerefeld für die Reise zum Saturn sammelt. Modeschöpfer Paco Rabanne sagt den Absturz der russischen Raumstation MIR voraus, deren letzte Besatzung am 28. August von Bord gehen wird und die nach 13 Jahren Betrieb im Pazifik versenkt werden soll. "Woher er das weiß? Man lebt ja nicht zum ersten Mal! Rabanne hält ein Bild eines Pharaos in die Kamera: ,Schauen Sie genau, das war ich vor 2000 Jahren.' Alle Achtung, der Mann spricht aus Lebenserfahrung" (Kleine Zeitung). Der Wiener Geologieprofessor Alexander Tollmann - nomen est omen - hat sich einen Bunker eingerichtet. Eine Stimme aus dem Volk: "Für was braucht der an Bunker. Wenn die Welt untergeht, möcht er allein da bleiben? Wos tuat er denn da? Wirtshaus gibt's a kans mehr." Nur die Bewohner der Südseeinsel Tahiti und die Eskimos sehen in dem Naturphänomen einen willkommenen Anlaß für Freudenfeste: Ihrer Vorstellung nach sind Sonne und Mond ein Liebespaar und jedesmal, wenn sich beide zum Liebesakt treffen, ziehen sie den Vorhang zu.

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Der "Wetter-Krimi": Morgens Regen, dann kommt die Sonne durch, dann wieder bedeckt. SWR 3 meldet, die Sonnenfinsternis sei schon einen Tag früher gewesen. Grund sei ein Rechenfehler. Eine angebliche Astronomin erklärt das Phänomen mit schwarzen Löchern, die zu einer Beschleunigung der Mond-Bewegung geführt hätten. Während sich 20.000 Menschen auf dem Grazer Schloßberg (473 m) und ich-weiß-nicht-wieviele auf dem Grazer Hausberg Schöckl (1.445 m) gegenseitig auf die Füße treten (sämtliche 8.000 Gästebetten in der Region Graz sind ausgebucht), ist es hier auf dem Dach relativ ruhig. Schon mit der Steinkreisanlage von Stonehenge (um 1847 v. Chr.) sollen Finsternisse berechnet werden können, im Jahre 585 v. Chr. sagt Thales von Milet (624-549 v. Chr.) eine Sonnenfinsternis voraus. Dann ist es erst wieder Edmund Halley (1659-1742), der die Eklipse von 1715 vorausberechnet. Heuer erscheint "SoFi" pünktlich um 11 Uhr 22.42 (Ortszeit). Also die Hyperbrille auf, der spannende Moment: Sollte meine Brille schadhaft sein? Joseph von Fraunhofer (1787-1826) soll auch durch allzuviel Schauen erblindet sein! Das ZDF meldet am Vortag: "Einige Brillen mit Folien der Firma XXX sollen bis zu 600-mal so viel Licht durchlassen wie intakte Spezialbrillen." Nach Firmenangaben gebe es jedoch nur 14 fehlerhafte Brillen aus einem eng umgrenzten Produktionsgang. Dafür legen sie ihre "Augen in die Sonne". Die Sonne erscheint ab und an zwischen ein paar Wolkenlücken. Wolkenfetzen ziehen an der weißen Sonnenscheibe vorbei. Schwarz-blaues Licht. Es ist sogar besser, als wenn der Himmel unbedeckt wäre. Von rechts oben beginnend, "frißt" der Mond sich langsam vor. Mittags bimmelt die Glocke der benachbarten Kirche zum Weltuntergang. Um 12 Uhr 20 reißt der Himmel auf, die Scheibe ist zu 3/4 bedeckt. Um halb Eins wird es auf dem Dach langsam belebt, ein paar gackernde Kinder feuern den Mond an. Es ist bis zum letzten Moment taghell. Man sieht zwei Sicheln, das direkte Licht von der Sonne und die Reflexion vom Mondrand.

Der "Todeskuß" erfolgt um 12 Uhr 44.56. Game over! Nur noch unverbesserliche Optimisten können glauben, es würde noch einmal Tag werden. Im Tierpark Herberstein in der Oststeiermark legen sich alle Affenweibchen schlafen, ihre männlichen Artgenossen springen kreischend umher. Die Präriehunde verschwinden schlagartig in ihren Löchern. "Fliegende Schatten" werden als schnell huschende, dunkle Bänder auf hellen Flächen sichtbar (Luftschlieren an spaltförmigen Lichtquellen). Sonnenstrahlen, die durch die Täler des Mondes ihren Weg finden, bilden das letzte Aufleuchten ("Diamantenlicht"). 72 Sekunden Zeit: Brille ab, Fernstecher, Fotoapparat! Es herrscht ein geisterhaftes Licht wie in der hellsten Vollmondnacht. Rundherum ist alles stumm. Für wenige Sekunden ist die rötliche Chromosphäre zu sehen, die 2.500 km dicke Übergangsschicht zwischen der kühlen Photospäre (die normalerweise für uns sichtbar ist: 5.700 K, einige 100 km dick) und der heißen, ionisierten Korona (> 1 Mio. K). Die Sonnenkorona ist sichtbar, ein weißer Strahlenkranz, der nach außen hin kontinuierlich abnimt. Das Koronalicht besteht zu 99% aus Streulicht aus der Photosphäre und zu 1% aus Eigenstrahlung, ihre Helligkeit beträgt nur ein Millionstel der Helligkeit der Sonnenscheibe. Protuberanzen, Materieansammlungen oberhalb der Photosphäre, schießen empor. Im Jahr 2000 hat die Sonnenaktivität - manifestiert etwa im Sonnenfleckenzyklus - ihr Maximum. Die hellroten Sonnenauswürfe sind erstmals bei der totalen Eklipse 1842 entdeckt worden.

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Deutlich zeigt sich Venus links unterhalb der Sonne, rechts Sirius (?), Hauptstern im Sternbild des Großen Hundes, am südwestlichen Himmel. Der Wiener Astronom Johann Palisa kann 1883 durch eine Sonnenfinsternis zeigen, daß es keinen größeren Planeten gibt, der näher bei der Sonne steht als Merkur. Zur Aufbringung der Expeditionskosten bietet Palisa jedem Sponsor an, einen von ihm entdeckten Kleinplaneten nach dem Geldgeber zu benennen. Das bringt ihm viel Kritik, aber wenig Geld ein: Es finden sich lediglich zwei Mäzene. Sterne in unmittelbarer Sonnennähe bieten die Möglichkeit, die Allgemeine Relativitätstheorie zu überpüfen, d.h. die Ablenkung von Lichtstrahlen durch Gravitationsfelder. So geschehen 1919 durch die Royal Astronomical Society of London unter der Leitung von Sir Arthur Stanley Eddington (1882-144). 1954 beobachtet der spätere Wirtschaft-Nobelpreisträger Maurice Allais (*1911), daß die Bewegung eines Foucaultschen Pendels während einer Sonnenfinsternis Unregelmäßigkeiten zeigt: Das Pendel weicht 2.5 h lang um 13 Grad von seiner normalen Position ab. Um Klarheit in die Angelegenheit zu bringen, koordiniert das Marshall Space Flight Center eine weltweite Aktion, bei der neben Foucaultschen Pendeln auch Gravimeter eingesetzt werden. Was den rätselhaften Effekt verursachen könnte, ist unklar: Bisherige Erklärungen ziehen die Anisotropie des Raumes, Gravitationswellen und die Sonneneinstrahlung heran.

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Das ist eine schnelle "Nummer": Auf der rechten Seite des Mondschattens blitzt wieder das "Diamantenlicht" auf und der Mond gibt eine Sonnensichel frei (12 Uhr 46.09, Dauer der Totalität: 1 m 12 s). "Here comes the sun ..." - also Brille wieder auf - "... and it's alright." Die Erscheinungen verlaufen in umgekehrter Reihenfolge, allerdings ohne die "Dramatik" vor der Totalität. Um 12 Uhr 50 zwitschert der erste Vogel wieder. Das Ende der Finsternis ist um 14 Uhr 08.55 (Dauer der Eklipse: 2 h 47 m). Das war sie also, die "Millenium-Eklipse" (auch wenn - nebenbei bemerkt - erst das Jahr 2001 das erste Jahr des 21. Jahrhunderts ist). Meine religiöse Erweckung ist ausgeblieben. Gläubige Hindus nehmen nach der Verfinsterung des Sonnengottes Surya als Mittel gegen bleibende Schäden ein gutes Essen und ein reinigendes Bad - ich nur das Erstere. Am Nachmittag gibt es kilometerlange Staus, ein paar Unfälle - und österreichweit 40 t Müll in Form von Plastikbrillen. Am Schöckl war die Eklipse kaum zu sehen, genausowenig wie in der "Sun City" Stuttgart oder bei den versammelten "Druiden" in Stonehenge. Pech haben auch die betuchten Hobbyastronomen, die mit einer Concorde dem Ereignis hinterhergejagt sind. Vergeblich warten die bulgarischen Fernsehzuschauer auf Livebilder: Das für den Dreh zuständige Fernsehteam ist von den Aufnahmen für ein erotisches Nachtmagazin derart abgelenkt, daß es das Himmelsereignis glatt verpaßt. Der Standard meldet: "Millionen sahen die Sonnenfinsternis - nur die Untergangspropheten guckten in den Mond." Rund 200 Pariser prosten sich vor einem Geschäft des Herrn Rabanne bei einem "Aperitif der Überlebenden" zu, im südwestfranzösischem Ort Condom simuliert das örtliche Festkomitee mit einer Attrappe den Absturz der MIR. Die Sozialistische Jugend meint "30 Sekunden schwarz über Österreich sind genug", die Freiheitlichen: "Es gibt keinen Grund rot zu sehen, auf schwarz folgt wieder der blaue Himmel". Ein Rumäne trinkt sich mit 3 Litern Selbstgebrannten in die "Ewigen Jagdgründe". Im heimischen Münster verwechselt ein Betrunkener die Dämmerung mit der Sonnenfinsternis und steigt auf ein Baugerüst. Als die Feuerwehr dem Mann helfen will, verläßt er den Aussichtpunkt nur, weil er hofft, vom Korb aus eine bessere Sicht zu haben. Aber am 12. und 13. August gibt es ja eine weitere Gelegenheit, den Himmel zu betrachten: Der Meteorschauer der Perseiden, Schutt des Kometen Swift-Tuttle, mit 50 bis 150 Sternschnuppen pro Stunde. In Graz fällt er allerdings buchstäblich ins Wasser!

photo: www.styria.com "Bei Gelegenheit der Sonnenfinsternis am 8. Juli in Grätz äußerte ein Bauer, welcher unter der andern Menschenmenge unweit des Uhrthurms am Schloßberge stand: ,Finster is, stockfinster, dos is richti; oba deßwegen bin i net aufa gonga! Wi d`Leut dumm seyn, - dos siech i jo alle Tag, wann`s dunkel wird; i geh!'
Jemand, der vielleicht, wie so manche Andere, am Morgen dieses Tages zu lange geschlafen hatte, oder wohl gar im Bette bleiben wollte, sah die Finsternis allmählig heranrücken, und es wandelte ihn endlich doch auch die Lust an, den Schloßberg zu besteigen, um so das seltene Naturschauspiel zu sehen; aber plötzlich wurde es so rabenschwarze Nacht um ihn, daß er - die Unaussprechliche [die Unterhose] nicht mehr finden konnte, und zu Hause bleiben mußte.
Auf der Spitze des Schloßberges soll ein alter Herr vom frühesten Morgen, ein Schaff Wasser vor sich, gesessen seyn, und trotz dem, daß alle Vorübergehenden ihm lächelnde Gesichter zeigten, und trotz der Wolke, die die Sonne umhüllte, das ganze herrliche Schauspiel im Wasserspiegel in seiner höchsten Vollendung gesehen und mathematisch zerlegt haben.
" (Der Aufmerksame, 14.7.1842)




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